Gedankenwirrwarr & Ruhrpott

Meine ganz eigene Welt

Acht Minuten

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Köln3

Ich trudle so gegen 8.40 Uhr oder später, was eigentlich vollkommen schnuppe ist, da ich in der Regel eh schon 20 Minuten und noch was oben drauf zu spät dran bin, am Kölner Hauptbahnhof ein. Bis dahin stand ich schon gut und gern ein-und-dreiviertel Stunde fröhlich-blöd-pfeifend auf´m Gang herum. Das mit der Fröhlichkeit sollte man nicht ganz so ernst nehmen. Aber dies schon. Immer, aber wirklich, wahrlich, wunderlich immer. Egal wann ich nun komme, steht auf dem gegenüberliegendem Gleis einer dieser weißen ICE´s mit Ziel Berlin-Gesundbr.. Und ich mich immer wieder Frage, wofür steht Gesundbr.? Gesundbrücke, Gesundbrunnen? Hin und wieder überkommt mich der Gedanke, einfach einzusteigen und nach „br“ zu fahren, nur um zu sehen, was für ein geheimnisvoller Ort „br“ sein mag. Das Potterische Hogsmeade Berlins. Ein magischer Ort? Vermutlich nicht.

Ein weiterer Fakt ist, und dies stimmt nun auch, ich muss in die U16 Richtung Bonn, Bad Godesberg um gezwungenermaßen nach Köln Südstadt zu gelangen und die Tram kommt immer erst in acht Minuten. Immer. Egal wann ich mich quer durch den riesigen Bahnhof vorbei an der verführerischen Fressmeile mit unendlich vielen Versuchungen, an der aufgeregten Menschenmenge quäle, nur um dann vor dem, am gläsernen Haupteingang liegenden, U-Bahnschacht stehend auf der riesigen Anzeigetafel in großen gelben Buchstaben: U16, 8 Min, Gleis 2 leuchten zu sehen. Acht Minuten. Immer kommt die U in acht Minuten. So schlendere ich wie immer auf den großen Bahnhofvorplatz, der mal locker die Ausmaße eines Fußballfelds hat, und bewundere kurz den, zur linken Hand hoch oben thronenden, Kölner Dom.

Gehe zu Jupp. Natürlich heißt er nicht Jupp. Ich nenne ihn hier Jupp, in Anlehnung an ein Lied von den kölschen Musikern BAP, „un dä Mammutfläsch Lambrusco. Op dä Plastiktüüt met singe paar Klamotte steiht „Eduscho“. Er ist so über sechzig, misst mehr als 1.90, schlank, nee eher dürr. Hat lange, graue Haare und sein hageres Gesicht verdeckt ein monströser, zotteliger, grauer Vollbart. Trägt immer einen alten, speckigen, schwarzen Cowboy-Hut mit schmaler Krempe Ein schwarzes T-Shirt, schwarze Lederjacke mit langen Fransen an den Ärmeln und ne schwarze Jeans, die viel zu groß und nur an seinen abgemagerten Hüften durch einen Gürtel mit riesiger, ovaler Schnalle mit Stierkopf, ganz knapp über seinem Bauchnabel gehalten wird. Wie fast jeden Morgen gebe ich ihm eine Zigarette und sehe ihm dabei zu wie er mit einem tiefen Zug den Rauch einatmet und durch seine Nase den weißen Qualm ausbläst, so dass er sich in seinem Bart verfängt und ihn plötzlich wattig-wolkig aussehen lässt. Er grinst.

Sehe seine weißen Turnschuhe. „Neu?“ „Ija“ „Wo?“ „Jefunge.“ Ich frage besser nicht nach, beobachte stattdessen die Menschen auf dem riesigen Platz, wie sie zum Bahnhof eilen oder sich genauso schnell von ihm wegbewegen. Sehe Touristen, die gerade kommen. Am Eingang des Bahnhofs abrupt, wie vom Blitz getroffen, stehen bleiben, den Dom sehen, die Kamera aus´m Halfter reißen und die hinteren Menschen auf sie auflaufen um dann fluchend um sie herum weiter zu rennen. Hektisch. Immer auf die Uhr schauend.

Sehe einen knienden Asiaten in einer neongelben Jacke. Mitten auf´n Platz versucht er ganz ruhig den Dom mit seiner Nikon ins rechte Bild zu rücken. Eine zweite Kamera mit einem kleineren Objektiv baumelt an seinem Hals. Großstadt-Fotosafari. Er sticht unweigerlich in der Menschenmenge durch sein Textmarker Gelbes Bekleidungsteil ins Auge. Es kreischt fast schon. Ein Mann, mittleren Alters, mit zu viel Gel im Haar, dafür gepflegter, schwarzer Vollbart und dazu passender dunkler Hornbrille huscht durch das Bild des gelben Stadtjägers. Zwei jüngere Damen jagen im Gleichschritt hinter der Hornbrille in schwarzer, modischer Hochwasserhose und Jacket her. Eine bewaffnet mit einem Kuchentablett. Irgendwie versucht sie die sahnige Süßspeise in den Bahnhof zu retten, während ihre Magermodel-Kollegin mit einem viel zu engen T-Shirt und Körbchengröße „D“ auf Brille einredet. Der Asiate geht genervt. Erst jetzt bemerke ich, dass er gar nicht kniete. Die Jacke zu groß und er verdammt klein. Die Hochwasserhose bleibt stehen und fuchtelt mit den Händen. „D“ fuchtelt zurück, während Kollegin mit beiden Händen den Kuchen hält und unser Textmarker eine bessere Position für sein Urlaubsfoto der Ewigkeit gefunden hat. Das dürre Busenwunder weiter mit den Ärmchen hantiert und ich gewinne den Eindruck, dass Tortenlady gerne mit schwenken möchte. Geht aber wohl gerade nicht. Sie sieht aber recht beleidigt aus und ich finde meine Neonleuchte in der Menschenmenge nicht wieder.

Höre Jupp, haste do noch e Kippe för op´n Wäch. Ich drücke meine aus. Gebe ihm noch eine. Seh, dass der kleine Mann mit seinen Kameras die Stufen zu Dom erklommen hat und ich Frau „ 70 D“ ungewöhnlicherweise gänzlich aus den Augen verloren habe.

Die acht Minuten sind vorbei und mich verschluckt meine U16. Wie lang wohl acht Minuten in Berlin-Gesundbr. sind?

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Autor: rejekblog

Ich bin 1964 in Duisburg geboren und lebe fast die ganze Zeit im Ruhrpott. In meinem Blog möchte ich gerne etwas über den Ruhrpott erzählen und was hier so los ist. Und natürlich, was so in meinem Kopf los ist. Nicht viel, ich gebe es zu.

11 Kommentare zu “Acht Minuten

  1. Der Bahnhof heißt GESUNDBRUNNEN…und nein, er ist nicht schön, er ist scheiße:-)) komm lieber nach Weissensee:-)) gibt Kaffee:-)) LG Corinna

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  2. deine Wahrnehmungen sehr bildhaft beschrieben … schon ohne Augenachliessen alles vor mir gesehen …. solche Schilderungen mag ich sehr …

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  5. Eine sehr detaillierte sehr unterhaltsame Beobachtung. Wirklich gelungen.
    Grüße, Katharina

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