Gedankenwirrwarr & Ruhrpott

Meine ganz eigene Welt

Büdchen Bömmsken Blödsinn Birgit

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Tüte2Jetzt gibt es eine „bunte Tüte“ mit allem Drum und Dran. Der Pott feiert seine Buden. Was wäre das Ruhrgebiet ohne seine Trinkhalle, Kiosk, Bude, Büdchen? Na, das wäre wie Rom ohne Papst, London ohne Queen, Paris ohne Alain Delon oder ich ohne rote Haare. Man stelle sich mal vor, ich, mit schwarzem Haar, Charme, Witz und leichtem französischen Akzent. Wer möchte das schon? Hat sich da gerade jemand gemeldet?

Ich unterbreche jetzt gerade ungern Ihre Träumerei. Kommen wir zum eigentlichen Thema zurück: Die Bude.

Büdchen Duisburg Homberg Rheinreußen

Schon die ollen Perser und Osmanen sollen sich im 13. Jahrhundert an pavillonartigen Büdchen erfrischt haben, allerdings nur mit klarem Wasser. Ob nun die Grundidee irgendwann ins Ruhrgebiet, nach Berlin, Hamburg oder in den Frankfurter Raum, die Hochburgen der Trinkhallenkultur, schwappte weiß ich jetzt nicht ganz genau, oder anders formuliert, ich habe so wat von keine Ahnung. Auch bleibt es mir ein Rätsel, wo nun die erste Bude in Deutschland das Licht der Welt erblickte. Im Pott oder doch Berlin? Da streiten sich mal wieder alle klugen Köpfe. Martin Gropius, der Großonkel von Walter Gropius, dem Bauhausgründer, hat die erste Halle 1859 entworfen. Ne recht verschnörkelte Holzbude, die gleich zwanzig Mal in Berlin aufgestellt wurde. Nur so am Rande, ist jetzt nicht so wichtig für die kommende Klausur. Die Franzosen fanden den Entwurf so nachahmenswert, dass sie 1868 mehrere davon in Paris aufstellten. Da ihnen kein Name einfiel, nannten sie das Holzhäuschen zuerst einfachheitshalber auch „Trinkhalle“.

Gropius Martin  (1824-1880): Trinkhalle, Paris. (Aus: Architektonisches Skizzenbuch, H. 89/1, 1868)

Ich versuche es gerade mit meinem französischen-pott Akzent auszusprechen. Schade, dass noch niemand das Hörtexten erfunden hat, ich würde es Pottcast nennen… Ach…lassen wir das. Aber lassen möchte ich nicht, doch kurz noch zu erwähnen, dass sich auch der Architekt und Chef des Bauhauses in Dessau Mies van der Rohe 1932 mit den Erfrischungsbuden beschäftigte. Ein Nachbau aus dem Jahr 2016 an Originalstelle steht in Dessau.

Trinkhalle2

Trinhalle

 

Eins ist aber recht sicher, im Revier gibt es die Bude schon seit über 150 Jahren. Vielleicht ein Jahr vor Gropius, vielleicht auch nicht. So richtig lässt es sich nicht festmachen. Denn… was sonst, gibt es die unterschiedlichsten Entstehungsgeschichten. So behauptet manch gelangweilter Gelehrter ohne Freundin – oh, ich habe ja auch keine, jetzt wird mir einiges klar – zurück, zurück… dass aus den ehemalige sogenannte Milchbuden, in denen Händler die Milch frisch aus Bauers Hand vertickerten, die Trinkhalle entstand. Nun, Milch ist gesund, stärkte die Muskelkraft und spülte vor allem den ganzen Dreck aus´m Mund und Rachen der Staub belasteten Arbeiter. Dann kamen aber die Mischwarenhändler mit Großangebot. Andere sind der Überzeugung, dass die Bude aus den damaligen Pferdetränken hervorgingen. In der grauen Vorzeit karrten die Alt-Logistiker alles mit Kutschen weg bzw. ran und die Gäule bekamen ihr Futter und Wasser in Tränkestallungen, die dann später in Trinkhallen umfunktioniert wurden, als die eine Pferdestärke etwas knapp bemessen war oder die Pferdeäppel überhandnahmen. Die Meisten beharren aber darauf, dass die Revier-Stadtoberhäupter sogenannte Seltersbuden zuließen, weil die Trinkwasserqualität, Mitte des 19. Jahrhunderts, im Pott doch recht dürftig war. Sauberes Quell-Wasser stärkt nun mal Körper und Geist. So durfte der Mineralwasserfabrikant Küpper 1906 in Duisburg-Hamborn zur „guten, alten“ Kaiserzeit sechs baugleiche Büdchen aufstellen um die Kumpels mit Limo und Wasser zu versorgen. Die kleine Halle in Hamborn auf´m Altmarkt, mit wohl leichten osmanischen, baulichen Einflüssen, ist die letzte, einsame Vertreterin ihrer Art und die zweitälteste Erfrischungshalle in Duisburg. Heute kann man sagen: Back to the Roots. Is ne Döner-Bude. Die klare Nummer Eins ist das „Blaue Büdchen“ in Ruhrort, 1904.

 

Nun, die Geschichten klingen allesamt grottenlangweilig plausibel. Mein unumstößlicher Favorit ist: Meine Mutter… nä, so weit sind wir noch nicht. Also ich denke und so richtig verbrieft ist es nun auch nicht, aber diese Erklärung hat alles was man braucht. Heißt, dass der Ursprung eher dem unternehmerischen Geist einiger Ruhrgebiets-Barone entsprang. Die ließen Hallen vor ihren Werkstoren errichten um den „Brand“ ihrer Arbeiter mit Branntwein und Bier zu stillen. In der Hoffnung, dass dieser gut gelaunt und freudig erregt an die knochenharte Arbeit ging. Vom Kummer befreit und vom Glück beseelt, verrichtete er sein schweres Tageswerk Untertage oder am Hochofen. Nun, das Ende vom Lied, der Bursche war schon vorher so besope, dass er nicht mal mehr ne Schöppe halten konnte. Vielleicht kommt daher der Ausdruck: „Bezecht sein“. Also beschickert, besoffen, blau, hinüber. Naja, auf jeden Fall ließ man recht zügig die berauschende Schnapsidee fallen und erinnerte sich zurück an das 13. Jahrhundert und schwenkte zum Leidwesen der Arbeiter auf Wasser um. Also doch die Perser und Osmanen. Kiosk kommt übrigens aus´m Türkischen: Kösk oder Kjosk – Gartenpavillon, aus denen auch Wasser gereicht wurde.Büdchen_Duisburg-MeiderichBüdchen Fenster Duisburg -MitteBüdchen Duisburg -HambornWas sich echt hartnäckig hielt… also, das mit dem Wasser. Und da wären wir wieder bei Mudda, die ihr beschauliches Sekretärinnenleben von einem Tag auf den anderen umkrempelte und, gegenüber Tor 1 der Thyssenhütte in Duisburg, eine Bude aufmachte. War so um 1966. Ich gerade zwei Jahre alt, kann mich bei Laibe nicht daran erinnern. Nur, so besagt unsere Familien-Chronik, durfte Mudda kein Bier oder Schnaps verkaufen. Keine Ausschanklizenz. Und da meine Mutter eine freundliche, mitfühlende und äußerst hilfsbereite Dame ist, hat sie kurzerhand aus dem nebenliegenden Schlafzimmerfenster die alkoholischen Getränke an die dürstenden und verdurstenden Stahlarbeiter verkauft und deklarierte das Ganze als Nachbarschaftshilfe. Sie war halt eine Ruhrgebiets-Baronin. Da wir alle, also Eltern, Schwester und ich dort schliefen, stolperte ich jahrelang über unzählige Bierkästen, die hier lagerten. Und flog auch einmal aus meinem Hochbett unschön auf einen davon, wovon heute noch eine Narbe im Gesicht sowie der ein und andere Hau im Kopp zeugt.

 

Mudda_Bude

Büdchen Duisburg -Hochfeld

Nun, ich kann wohl einfach behaupten, ich habe das Büdchenleben mit der Muttermilch aufgesogen. Vielleicht mit ein Grund, warum ich mich dort gerne aufhalte. Aber eigentlich liegt es eher an dem handverlesenen Publikum. Etwas moddriger, schnoddriger, koddriger.

Büdchen Duisburg -Hamborn_2

Büdchen Duisburg -Hamborn_3

Aber dies wollte ich eigentlich gar nicht erzählen. Am Samstag feierte der Pott zum zweiten Mal ganz groß seine Büdchen. Rund 200 Buden zwischen Duisburg und Dortmund nehmen an dem Festakt teil und lassen sich beglückwünschen. Es gibt Kunst und Kultur. Poetry Slam, Musik, Kleinkunst und vieles mehr. Zehntausende von Kulturinteressierten wandern dann plötzlich zur Bude, obwohl die Meisten noch nie eine von innen gesehen haben. Ich gehe wie gehabt zu Birgit´s Büdchen. Birgit ist die Trinkhallen-Ikone schlecht hin. Unverwechselbar, unvergleichbar, unbezahlbar. Man geht zu ihr, trinkt sein Kaff, schwätzt über Gott und die Welt und mit ein bisschen Glück bekommt man von den älteren Damen vor Ort einen Häkelkurs auf´s Auge gedrückt. Es fühlt sich einfach nur gut an. Birgit (rechts) ist mehr als nur ein herzensguter Mensch und ein absolutes Muss, wenn man mal in Duisburg ist.

Birgit Büdchen_Duisburg_Birgit

Rein setzten und einfach reden. Hier hört jeder jedem zu. Da wurde sogar das Fernsehen auf sie aufmerksam, jetzt strahlt sie in der Doku-Serie „Unser Kiosk“. Und ich den ganzen Samstag mit Birgit, Bömmskes (Bonbons) vor dem Büdchen und vertelle Blödsinn…

Rosi´s Büdchen_Menschen_Duisburg

Birgit Büdchen_Duisburg_Leute

Bildnachweis:

Technische Universität Berlin, Architekturmuseum, Gropius Skizzenbuch

Stiftung Bauhaus Dessau, Foto Yvonne Tenschert

Stiftung Bauhaus Dessau, 1932

Autor: rejekblog

Ich bin 1964 in Duisburg geboren und lebe fast die ganze Zeit im Ruhrpott. In meinem Blog möchte ich gerne etwas über den Ruhrpott erzählen und was hier so los ist. Und natürlich, was so in meinem Kopf los ist. Nicht viel, ich gebe es zu.

17 Kommentare zu “Büdchen Bömmsken Blödsinn Birgit

  1. K I O S K E –
    immer PUNKTE mit einem besonderem FLAIR
    *
    Mein erstes Empfinden als ich 1992 zum ersten Mal im RUHRPOTT, in DUISBURG -, war!

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  2. Hach ja, das sind Ruhrpottkindheitserinnerungen. ❤ Für 10 Pfennig hiervon, für 10 Pfennig davon… 😄
    Sehr erfrischend geschrieben und bebildert! 😊

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  3. So was gab es in Winterberg tatsächlich auch … hat sich aber leider nicht so hartnäckig gehalten wie im Pott. Ich hab das geliebt!

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  4. Erinnerungen an meine Kindheit („Für 20 Pfennig Haumichblau!“) Später, während der Lehre, gut besuchte Tankstelle für Kaffee und/oder Brötchen… Nach der Schule noch schnell ´n Eis für auf´n Weg.
    Au Mann, haben wir et jut jehabt, damals! 🙂
    Danke für die wieder einmal tolle Bebilderung! 🙂

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  5. Ach ne, watt wieder ein schöner Beitrag!! morgen hole ich mir erstma ne Tüte Bömmskes…auf die alten Zeiten:-) Liebe Grüße Corinna

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  6. Wie schön, dass diesen Büdchen einen Jubiläumstag gewidmet wurde. Jeder der im Ruhrgebiet aufgewachsen ist hat Kindheitserinnerungen an diesen Büdchen. Ich erinner mich gerne wie ich täglich für Nachbarn einkaufen lief. Häufig gab es ein paar Groschen für die ich mir dann „ Klümpchen“ kaufte. Herzliche Grüsse

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    • Hallo Petra,
      an dem Tag gab es bei Birgit eine riesige Tüte für´n Euro. Leider hielt sie bei mir nicht mal halb solange wie sie für´s einpacken brauchte. Mampf, und schon waren die bunten Herrlichkeiten verschwunden.
      Liebe Grüße

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  7. Hömma!
    Gezz hätte ich doch verdelli beinahe Deinen wirklich wunderbaren Text über unsere heißgeliebten „Selterbuden“ übersehen! Ja, ich glaube, jeder hier bei uns im Ruhrgebiet hatte (und hat vielleicht immer noch) „seine Bude“. Mit Geschichten von Groschen, Leckmuscheln, Wundertüten, Brauspulver und Knöterich-Bonbons, von denen es zwei für einen Pfennig gab. Und bestimmt auch gab es hier und da was „auf Kucki“ oder „Keife“, korrekt „auf Anschreiben“ bis zum nächsten Ersten….
    Hasse schön beschrieben, dat allet.
    Leb Grüße!
    Lo

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  8. Toller Bericht. ja ich erinnere mich, wie wir uns Sonntagsmorgens eine Tüte mit je 2 Bonbons aus jedem Glas besorgten. Himmlisch, das ganze Taschengeld war weg und wir im schönsten Bonbon-Himmel.

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  9. Ja ich glaube 1 Mark gab es damals. Aber klar, Schnuppes war früher und dann kam Maxim und der Discofox …..

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