Ich bin leider kein besonders romantisch veranlagter Knabe, was ich manchmal bedauerte – bestimmt nicht nur ich. Nun ist ja Romantik auch ein relativ dehnbarer Begriff. Gott sei´s gepriesen, so dass manchmal schon ein leichter Kuss in den entblößten Nacken reicht um die Laune „die“ Gegenübers zu heben. Dinge wie Rosenblätter auf´m Fußboden oder Badewanne, Schaum, Prosecco liegen weit außerhalb meiner Vorstellungskraft. Pizza auf der Hand im romantischen Feuerzeug-Lichterschein dagegen schon.
Die Bücher meiner Jugend haben mich da vielleicht auf Abwegen geführt. Meine Autoren waren neben Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Enid Blyton ganz klar Charles Bukowski, der nun nicht als Romantiker in die Literatur Geschichtsbücher eingetragen worden ist, wenn er es überhaupt bis dahin geschafft haben sollte. Ich liebte seine dreckige, knappe, versoffene, Sex überladene Sprache. Ach ja – die schöne Jugendzeit. Sollte mir noch mal ein Buch von ihm schnappen. Früher war wirklich alles besser.
Nun, an den Büchern lag es alleine nicht. Ich muss nun offen zugeben, dass mich das Musical „Man of La Mancha“ damals in den Bann zog. Aber nur die viel gescholtene Film-Version mit Peter O´Tolle und Sophia Loren aus dem Jahr 1972. An Kitsch kaum zu übertreffen (gar zu ertragen). Ab da war für mich aber Peter O´Tolle die einzig wahre Verkörperung des alternden, abgemagerten, in seiner eigenen Welt entrückten Don Quijote. Ich weiß nicht mehr so genau wie alt ich war. Um die 16, eher ein Hauch älter. Vermutlich.
Nach dem Film musste die beiden Bücher dran glauben und gehörten fortan zu meiner Lieblingsliteratur. Lassen wir mal Band 2 außen vor. Mich interessierte weniger die aussichtslosen Kämpfe gegen Windmühlen und all die anderen Spielereien, die eh für mich nur Nebenschauplätze der Story sind, oder die spätere Läuterung sondern vielmehr das Festhalten an dem Ideal der Ritterlichkeit, die unser komischer Kauz als einziger in dem Roman lebendig hochhalten wollte. Wie sich halt Ideal und Realität im Wege stehen. Mir ist natürlich schon klar, dass unser Autor Miguel de Cervantes um 1605 das ganze Thema mehr satirisch anging und über seine Zeit, seine Mitbürger spottelte, die noch an dem Traum vom längst vergangenem Edelmut festhielten. Und, natürlich haben Buch und Musical nicht viel gemein.
Außer: Die Liebe. Ich war jung und ahnungslos. Was jetzt absoluter Schwachsinn ist, denn zu der Zeit war ich das erste Mal verliebt, verschossen, verknallt. Ich hyperventilierte. Wie nie zuvor. Mit satanisch zugeführten Schmerzen in Bauch und Magen, als würde ein sechsspänniger Streitwagen samt 12-köpfiger Besatzung in voller Rüstung über mich rollen und wollüstig ihre Pirouetten auf mir drehen. Und das war an guten Tagen. Ich sah sie stündlich, wir lebten zusammen in einem Internat.
Auch bei mir klaffte eine riesige Lücke zwischen Realität und Gedanken-Verträumtes-Vergöttern. So hob er seine und ich meine „Dulcinea“ auf ein Podest. Wir verklärten sie, aber nur er hat für sie die berühmten Schlachten geschlagen und all die Abenteuer auf sich genommen. Um ihre Gunst buhlend. Einen Blick hoffend bekommend. Hat er sich in sein Bild eines Ideals verliebt und nun die wahrlich nicht jungfräuliche, tugendhafte Bauersfrau aufmontiert. Gerade diese Szene in dem Film macht mich ganz jeck. (Video) Ich sah mich. Während er aber Spot und Ungemach in Kauf nahm, träumte ich vollkommen verromantisiert von meinen zehntausend heldenhaften Tode in den Armen meiner reinen, jungfräulichen, über allen Zweifel erhabenen, ständigen Begleiterin und Bewacherin meiner Gedanken. Das jeden Abend.
Nun, man könnte seine Nächte wirklich sinnvoller verbringen. Aber das kam mir nicht in den Sinn. Genauso wenig wie zum Arzt zu gehen oder noch vollkommen irrsinniger: Sie anzusprechen. Das wäre nun eine wirklich, richtig bescheuerte Idee gewesen. Gott, Ihr kommt auf krude Gedanken. Dazu fehlte mir damals einfach die Chuzpe. Sie war zu schön.
So blieb es beim weit entfernten Verklären. Auch wenn ich aus heutiger Sicht darüber schmunzeln muss und ich meine romantische Ader aus den Augen verlor. Missen wollte ich „Absurdistan“ nie mehr.
Nun, im Gegensatz zu unserem Helden der traurigen Gestalt überlebte ich mein Drama. Sie verließ vorzeitig das Schloss Herdringen und ließ mich später in den Armen einer anderen zurück. Ein weiteres Drama nahm seinen Lauf. Nicht für mich.
Viele Jahre später kramte ich den Schmöker noch mal aus dem, von Spinnweben bedeckten, Bücherregal hervor. Las von all den herrlichen Orten, einsamen Schauplätzen und kargen Landschaften. Und, von meiner grenzenlosen Neugier überrannt, sattelte ich meine „Rosinante“, in meinem Fall hörte das gute, alte Streitross auf den erlauchten Namen BMW und wir ritten reichlich verspätet unserem Abenteuer und der Sonne entgegen. Wohl auch deshalb, da mal wieder weit und breit keine Dulcinea del Toboso in Sicht war. So fuhr ich halt nach Toboso…
Ach, hätte ich fast vergessen. Man mag es kaum Glauben, vor fünf Jahren saß ich sogar in der dazugehörigen Oper. Musik: Muleta des Schweigens, Bühnenbild: excelente. Wollte ich nicht eigentlich davon erzählen? Jetzt ist es zu spät. Mist.