Heute war wieder einer dieser Tage, die ich mit warten verbrachte. Warten auf den Arzt. Man hatte ja Wochen vorher einen Termin vereinbart. Einen Termin für morgens beim Radiologen, einen am Mittag beim Urologen. Kommen Sie ruhig etwas früher“ meinte vor Tagen der freundliche Engel mit den Goldlöckchen hinter der Rezeption.
„Warum?“ frage ich mich gerade und schaue in die debielen Gesichter der Rollator-getriebenen und –gesteuerten Herrschaften. Meine Hoffnung schwindet, dass ich heute noch den Computertomographie-Automat und in Zukunft Rente sehe, da das eine bis dahin veraltet und das andere aufgebraucht ist.
Da sitz ich nun, warte. Warte darauf, dass das milchige Kontrasthilfsmittel, welches ich gerade lieblos vorgesetzt bekam, wirkt und ich auf den CT-Bildern leuchte wie eine Weihnachtsbaumlichterkette.
Von meinen Östrogenen gesteuert greife ich gelangweilt nach einer der Zeitschriften, die wohl trapiert auf dem Tisch liegen. Gala. Schaue mir die schönen Menschen auf den Hochglanz-Seiten an und fange unweigerlich meinen Körper an zu hassen. Neben Falten, grauen Haaren leistet die Schwerkraft ihr übriges dazu, so dass ich eigentlich ganz gut hier in die illustre Runde passe. Versuche mich gedanklich abzulenken, bevor ich ganz in Schwermut versinke und sage leise die Geburtsdaten von Familie und Freunden auf. Keine sechzig Sekunden später musste ich mir ein neues Spiel einfallen lassen.
Da setzt sich eine junge Frau, so meines Alters zu mir. Sie riecht nach einem preiswerten Parfüm mit starker Vanille Note und kaltem Zigarettenrauch. Ich dachte sofort an meine Zeit in dem Dörfchen Herdringen, an meine erste große Liebe, geboren 18.05.1964, geheiratet am 25.05. 1983. Da behauptet noch einer, ich könnte mir keine Daten merken.
Höre meinen Namen, falsch ausgesprochen, da aber kein anderer sich reckt, war wohl ich gemeint und es folgte die Routine nach: the same procedure as every mounth. Ausziehen, in die Röhre legen, Kanüle in den rechten Unterarm und nach ein paar Minuten kommt sie endlich, die Stimme.Leise, fast hauchend, aber bestimmend. „Tief einatmen. Luft anhalten. (lange Pause) Ausatmen. Langsam weiteratmen.“
Endlich. Und gerne folgt man der Anweisung. So wie man der Stimme seines Navigationsgeräts folgt: „rechts raus. Richtung Wuppertal-Cronenberg“. Unweigerlich fragt man sich, ob das ein Ausbildungsberuf ist. Sitzt dort eine Legion von Professoren und nimmt die mündliche Prüfung ab. Und die Studentin haucht ins Mikro die berühmten Worte. Oder bespielt der Hersteller die CT-Geräte? Und es gibt dort eine junge Dame, die in 71 Sprachen „ausatmen“ sagen kann? Und lernt sie gerade klingonisch? Man will ja schließlich expandieren.Mit all diesen Fragen vertreibe ich mir die Zeit in der Röhre. Und dann ist Schluss. Nachbesprechung. Alles so weit ok.
Morgen gehe ich ins Tierheim. Besuche Max, so nenne ich ihn- Schäferhund. Wenn einer glaubt, das Finanzamt sei eine bürokratische Vereinigung von Frustrierten, dem rate ich ein Besuch in ein Tierheim.
Ich mag Max – nicht mehr so jung und ziemlich grau so wie ich. Das Herz will, was das Herz will.